Zum Nachdenken - Schützen stehen nicht immer stramm
Wendelin Weingartner (c) Suedtirol NewsAusschnitt aus der Südtiroler Sonntagszeitung "Zett" vom 18. Juni 2017
Das Treffen der Staatspräsidenten Italiens und Österreichs in Meran ist mit viel Lobgesang über die Autonomie zu Ende gegangen. Vom Beispiel für andere Minderheiten war die Rede. Kaum die Rede war davon, dass die Behandlung der Südiroler lange Zeit ein Beispiel dafür gewesen ist, wie mit Minderheiten nicht umgegangen werden darf. "Landesüblichen Empfang" für die beiden Staatspräsidenten hat es keinen gegeben. Das war vielleicht nicht tragisch. Bemerkenswert war aber doch die Diskussion, die zur Absage dieses traditionellen Begrüßungsaktes geführt hat. Sie ist einer kritischen Würdigung wert.

Der Grund für die Absage seitens der Schützen war, dass sie dem Wunsch des Landeshauptmannes, bei diesem Empfang auch die italiensche Hymne zu spielen, nicht nachkommen wollten. Als Begründung dieser Haltung war einerseits zu hören, dass das Abspielen von Staatshymnen im Protokoll des landesüblichen Empfanges nicht vorgesehen sei und zum zweiten, dass man nicht erwarten könne, dass Tiroler Schützen zur italienischen Hymne stramm stehen.

Dem zweiten Argument komme Berechtigung zu. Der "Landesübliche Empfang" folgt einem historisch gewachsenen, genau geregelten Ritual. Teilnehmer sind eine Ehrenkompanie der Schützen und eine Musikkapelle. Vor dem Abschreiten der Front ist zwingend das Abspielen des Andreas-Hofer-Liedes (Landeshymne) vorgesehen. Die Statuten sehen aber ausdrücklich vor, dass beim Empfang eines ausländischen Staatsgastes auch die Hymne seines Staates gespielt werden kann. Dies kann in der heutigen Situation natürlich auch die Europa-Hymne sein. Auch wenn der italienische Staatspräsident in Südtirol kein Gast eines fremden Staates ist, so könnten die Statuten doch so ausgelegt werden, dass beim Empfang der Staatsoberhäupter die Hymnen beider Staaten gespielt hätten werden können. Besser wäre der ursprünglich vereinbarte Kompromiss gewesen, statt der Staatshymnen die Europahymne zu spielen. Das wäre ein Weg gewesen, um mit der Hymne zum Ausdruck zu bringen, dass die Streitbeilegung ein Akt europäischer Politik war.

Landeskommandant hat richtig entschieden

In Anbetracht der Geschichte der italienischen Hymne und ihres vor Nationalismus triefenden Textes weigerte sich der Landeskommandant der Schützen, seine "Mander" vor dieser Hymne stramm stehen zu lassen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dies richtig war.

Das Lied "Fratelli d'Italia" war ursprünglich ein Kampflied der Bewegung des Risorgimento. Diese Bewegung hatte das Ziel, die Bürger italienischer Muttersprache in einem Staat zu vereinen. Ein Ziel, das dem Nationalismus jener Zeit entsprach. Natürlicher Gegner war der Vielvölkerstaat Österreich, der damals den Zug der Zeit zu spät zu spät erkannt hatte und falsch reagierte. Anders war dann die Situation im Ersten Weltkrieg: Italien hatte den Dreibund mit Deutschland und Österreich verlassen und sich als Gegenleistung für den Eintritt in den Krieg den Erwerb von Gebieten - vor allem auch Südtirol - versprechen lassen. Italien hat Österreich in erster Linie an der Tiroler Grenze angegriffen. Es war damals ein reiner Eroberungskrieg. Ursprünglich standen nur alte Standschützen und ganz junge Schützen zur Verfügung, um dem Angriff entgegenzutreten. Das Kampflied der italienischen Alpini gegen die Tiroler Schützen, gegen die Kaiserjäger und die Kaiserschützen, die ihre Heimat verteidigt haben, war die heutige Nationalhymne. Kampflieder haben die Aufgabe, Ängste zu vertreiben und gegen Gegner zu hetzen. So ist auch heute noch in der fünften Strophe der italinischen Nationalhymne vom österreichischen Adler die Rede, der seine Federn verloren und der das Blut Italiens mit den Kosaken getrunken hat.

Dass auch im Jahr 2017 von Tiroler Schützen nicht verlangt werden kann, vor dieser Hymne stramm zu stehen, müsste eigentlich klar sein. Das Erbe der Väter hochzuhalten ist eines der Aufträge der Schützen. Für einen Landeskommandanten, der anders entschieden hätte, müsste der Befehl lauten: Lernen Sie Geschichte! Er hätte die Schützen zum folkloristischen Aufputz einer politischen Veranstaltung degradiert.